Am Ende des Tages

Uraufführung

Von Olivier Garofalo

 

Lilith Rosen, eine Moderatorin - Katrin Hauptmann

Susanne Müller, eine Bürgermeisterin - Juliane Pempelfort

Andrea Julius, Aktivistin  - Anna Sonnenschein

Norbert Leuchten, Geschäftsführer eines Schlachthofes - Benjamin Schardt

Toneinspielung „Die Aufmärsche“ - Niklas Maienschein und Antonia Schirmeister

 

Inszenierung - Boris C. Motzki

Bühne und Kostüme - Miriam Busch

Musikalische Einstudierung - Tilman Brand

Dramaturgie - Eva Veiders

Regieassistenz und Inspizienz - Greta Gottschalk

TheaterAktiv - Robert Hüttinger

Soufflage - Veronika Schepping

 

Spieldauer: ca. 70 Minuten
Premiere: 10 MÄR 2022, Studio
Aufführungsrechte: Felix Bloch Erben Co. KG, Berlin I www.felix-bloch-erben.de

 

Veranstaltungstechnik David Kreuzberg (Technischer Leiter/Beleuchtungsmeister), Claudia Kurras (stellv. Technische Leiterin/Bühnenmeisterin), Nikolaus Vögele (Beleuchtungsmeister), Fredo Helmert (Leiter der Tonabteilung), Lutz Patten (Assistent der technischen Leitung), Reinhold van Betteraey, Jens Gerhard, Markus Hermes, Ivan Hristov (Medientechnik/IT), Erhad Kovacevic, Daniel Marx, Maik Neumann, Stefan Ostermann, Katrin Otte, Lutz Schalla, Matthias Schöning, Michael Skrzypek, Til Topeit, Oliver Waldhausen, Peter Zwinger Auszubildende Nour al Hamdan, Leona Kittlaus, Malte Meuter, Tim Rettig, Elias Triebel Werkstätten Schreinerei/Schlosserei Engelbert Rieksmeier (Werkstättenleiter), Lutz Meuthen, Jorge Denis Corrales Mora, Jonas Henke, Peter Herbrand, Johannes Selzner Auszubildende Werkstätten Mitja Hennig, Justin Simon, Aaron Czirr Malsaal Sarah Durry (Leiterin Malsaal), Natalie Brüggenolte (in Elternzeit), Laura Conigliello, Dmytro Fedorovic Zhdankin, Luna Warnke, Maria Felicia Montemurro Gewandmeisterei Alide Büld (Leiterin der Kostümabteilung), Waldemar Klein (Leiter der Herrenabteilung, Herrenschneidermeister), Ute Dropalla (Garderobiere), Pauline Gez (Garderobiere), Susanne Groß, Maria Knop, Alina Listau, Anna Listau, Sophia Meuser Maske Marthe von Häring (Leiterin der Maske), Marleen Fee Hackenberg, Laura Rösch Requisite Birgit Drawer (1. Requisiteurin), Lara Maury

 

Der Text „Stückinhalt“ stammt von Christofer Schmidt. Das Interview mit Olivier Garofalo führte Eva Veiders. „Die Urfassung des Textes“ ist ein Originalbeitrag von Eva Veiders.

 

Probenfotos Marco Piecuch Plakatfoto Simon Hegenberg

 

Bitte beachten Sie, dass Ton- und/ oder Bildaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind.

Sie wollte Gutes tun und hat Böses geschaffen: Die junge Aktivistin Andrea Julius erlangte mit ihren Protestaktionen überregionale Bekanntheit. Doch anstatt einen friedlichen Wandel anzustoßen, hat sie unbeabsichtigt einen wütenden Mob heraufbeschworen. Lautstark und gewaltbereit fordern aufgebrachte Bürger*innen nun die Schließung nationaler Grenzen zum Schutz des eigenen »Volkskörpers«. Dabei beziehen sie sich auf Andrea als Vorbild. Ein Missverständnis? In einer Talkshow will sie sich erklären. Allerdings verfolgt die intrigante Fernsehmoderatorin Lilith Rosen eigene Pläne: Neben Andrea hat sie noch Bürgermeisterin Susanne Müller und den jüngst in einen Skandal verwickelten Schlachthofbesitzer Norbert Leuchten auf ein altes Landgut eingeladen, um eine große Enthüllungsshow vor laufender Kamera zu inszenieren. Seltsam nur, dass es außer den vier Anwesenden kein Fernsehteam gibt. Kann Andrea sich dennoch erklären und die Aufmärsche, die in ihrem Namen stattfinden, stoppen?

Mit »Am Ende des Tages« entwirft RLT-Hausautor Olivier Garofalo ein spannendes und hochpolitisches Drama mit Sogwirkung. Dabei lotet er zwischen Hass und Barmherzigkeit die Bandbreite menschlichen Fühlens in unserer nach Aufmerksamkeit lechzenden Gegenwart aus.

Olivier Garofalo

vertreten durch Felix Bloch Erben Verlag

 

seit der Spielzeit 2019/2020 Hausautor und Dramaturg am Rheinischen Landestheater Neuss

 

zudem:
2021
Redakteur bei dem Theater-Podcast Dreima Drama vom ensemble-netzwerk theaterautor*innen
2020
Gastreferent an derOtto-Friedrich-Universität Bamberg
 
2015/2016-2018/2019
Dramaturg am ETA Hoffmann Theater Bamberg
zudem:
2018
Jury-Mitglied beim "radio 100,7 Hörspielpreis"
2016/2017
Hausautor am Théâtre National du Luxembourg
2016-2019
Lehrbeauftragter an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg
 
2012/2013-2014/2015
Chefdramaturg an der Badischen Landesbühne Bruchsal
April 2011-Ende Spielzeit 2012/2013
Dramaturg an der Badischen Landesbühne Bruchsal
 
2022
Mitglied A:ll Schrëftsteller*innen asbl
2020
Gründungsmitglied des theaterautor*innen-netzwerks
Mitglied des Verbands der Theaterautor:innen
2013
Gründungsmitglied der AG Landesbühnen innerhalb der Dramaturgischen Gesellschaft
2012
Gründungsmitglied der Vernetzungsgruppen der Dramaturgen des Kinder- und Jugendtheaters Baden-Württemberg
2012
Mitglied der Dramaturgischen Gesellschaft
2009-2010
DAAD-Jahresstipendiat
 
Arbeiten als Dramatiker
2022
"Am Ende des Tages", Auftragswerk und Uraufführung am Rheinischen Landestheater Neuss, Regie: Boris C. Motzki
"Im Umbruch", Auftragswerk und Uraufführung am Kulturhaus Mersch (Luxemburg), Regie: Tom Gerber
2021
"Radikal Normal", Auftrag für Creative Change e.V.
"Begegnung mit Beethoven", Auftrag für Kammerata Luxemburg, Uraufführung am Kulturhaus Mersch
2019
"Warte nicht auf den Marlboro-Mann", Auftragswerk und Uraufführung am Theater der Stadt Aalen, Regie: Jonathan Giele
(weitere Inszenierungen am Kaleidoskop Theater Bettemburg (Luxemburg), am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau sowie an der Badischen Landesbühne Bruchsal)
"Out of area - über die Möglichkeit einer unmöglichen Begegnung", Uraufführung an der Kulturbühne Spagat/HORIZONT e.V. in Kooperation mit anstart.org., Regie: Ulf Goerke
"Das denkende Herz", Musiktheater nach den Tagebüchern Etty Hillesums, Uraufführung am Forum Theater Stuttgart, Musik: Marco Bindelli, Lena Sutor-Wernich, Regie: Ingeborg Waldherr
2018
"Z wie Zombie", szenische Lesung im Rahmen des TalentLAB#18, Théâtres de la Ville de Luxembourg & Birmingham Repertory Theatre
2017
"Heimat ist kein Ort", Uraufführung am Théâtre National du Luxembourg, Regie: Marion Poppenborg
"Ödipus, Kinnek?", Einakter, uraufgeführt im Rahmen von "Oh du do uewen, deem seng Hand", Kasemattentheater, Théâtre d'Esch, Kinneksbond Mamer, Centre National de Littérature, Regie: Thierry Mousset
2015
"Dead History - Ihr Anbieter für historische Stadtrundfahrten" Text und Konzeption, Badische Landesbühne
2014
"Es ist, was nicht war", Auftragswerk und Uraufführung an der Badischen Landesbühne, Regie: Judith Kriebel
                         (weitere Inszenierung am Gerhart- Hauptmann-Theater Zittau, Polnische Übersetzung & Inszenierung von Grzegorz Stosz)
2013
"Danton! Tod?" nach Georg Büchner, Uraufführung an der Badischen Landesbühne Bruchsal, Regie: Mehdi Moinzadeh
2012
"Die Todesnacht in Stammheim" nach der gleichnamigen Recherche von Helge Lehmann, Uraufführung an der Badischen Landesbühne Bruchsal,                           Regie: Olivier Garofalo
2010
"Die Fassbinder", Auftragswerk und Uraufführung am Theater Trier, Regie: Judith Kriebel
"Made" (frei zur Uraufführung), vorgestellt anlässlich einer szenischen Lesung von MASKéNADA
2009
"sweetdreams!" Auftragswerk für ein theatralisch-choreografisches Porträt der Stadt Luxemburg, MASKéNADA, Trois C-L – Centre de Création Choreographie       Luxembourgeois, grandthéâtre, Choreografie: Gianfranco Celestino
2008
"Im Arsch" (frei zur Uraufführung), vorgestellt anlässlich des Stückemarktes Texte 05 des Théâtre National du Luxembourg & Centre National de littérature  Mersch
2005
"Tell me sweet little lies – Drei Monologe für einen Schauspieler" für das „petits mensonges entre amis“-Festival, Esch/Alzette
 
Bühnenadaptionen
2018            
"Dschihad Online" nach Morton Rhue, Regie: Alexander Ritter, ETA Hoffmann Theater Bamberg
2015
"Alphaville" nach dem gleichnamigen Film von Jean-Luc Godard, Regie: Joerg Bitterich, Badische Landesbühne
2013
"Um die Welt in 80 Tagen" nach Jules Verne, Regie: Joerg Bitterich, Badische Landesbühne
2011
"Die Schneekönigin" nach Hans Christian Andersen, Regie: Evelyn Nagel, Badische Landesbühne
(weitere Inszenierung  am Theater Eisleben und am Rheinischen Landestheater Neuss)
 
 

Foto: Simon Hegenberg

„Auch Goethe hat sein Leben lang geschrieben.“

Ein Gespräch mit dem RLT-Hausautor Olivier Garofalo über ungeplante Autorenschaft, die Aufgabe des Theaters und die dunklen Seiten der Empathie

Das Stück „Am Ende des Tages“ ist für die aktuelle Spielzeit „Wie schwer ist Empathie?“  entstanden. Auf welche Weise wird Empathie hier thematisiert?

Wir haben es mit vier Figuren zu tun, die schon über eine gewisse Empathie verfügen, aber die Empathie der anderen nutzen, um sie zu manipulieren. Die Frage wird gestellt, inwieweit Empathie überhaupt möglich ist. Auch das Motiv der Aufmärsche, bzw. Chöre, spielt mit Empathie, weil sich diese Stimmen als Leidende ausgeben, denen man vielleicht auch im ersten Moment Recht geben könnte, bis man merkt, wie populistisch und gefährlich ihre Äußerungen sind. Insgesamt ist „Am Ende des Tages“ wohl eher ein Stück der ausbleibenden Empathie oder über das damit verbundene Manipulationspotenzial geworden.

Das Stück ist im Frühjahr 2020, während der Corona-Pandemie entstanden. Wieviel Corona steckt in „Am Ende des Tages“?

Ich habe versucht, beim Schreiben Corona ganz herauszuhalten, aber schnell gemerkt, dass das nicht geht … denn natürlich ist eine Pandemie viel zu groß, um sie zu ignorieren. Als Gegenwartsdramatiker ist es mein Auftrag, mich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Vom Setting befinden wir uns ja in einer Zeit kurz nach einer großen Naturkatastrophe. Solidarität und Empathie scheinen nur mehr als Worte zu existieren, gelebt werden sie aber nicht wirklich.

Einige Dinge, die du beschreibst, sind später in der Realität eingetroffen. Wie hat sich das angefühlt? Macht dich das auch ein bisschen stolz?

Nein, gar nicht. Tatsächlich habe ich vieles geschrieben, bevor es real stattgefunden hat. Ich denke da an den Sturm auf das Kapitol oder den Reichstag, oder die Überflutungen, die damit verbundene Hilflosigkeit …  Ich würde mir durchaus wünschen, die Welt wäre eine andere.

Andrea Julius, eine der Figuren in „Am Ende des Tages“ ist Barmherzigkeitsaktivistin. Wieso ausgerechnet das?

Barmherzigkeit ist ja erst mal etwas Gutes. Die Aufmärsche pervertieren aber das Motiv Barmherzigkeit und setzen die dunklen Seiten der Empathie frei. Die Transferleistung, die damit dem Publikum zugemutet wird, ist selbst zu merken, dass etwas mehr Empathie und Barmherzigkeit uns gut täte. Allerdings muss man aufpassen, sich nicht zu verlieren. Denn sonst geht es einem wie Andrea Julius. Sie versucht immer, es allen Recht zu machen und verliert sich dabei selbst.

„Am Ende des Tages“ steht ja im Zusammenhang mit „Johanna ist tot“, dem Stück, das du für die kommende Spielzeit schreibst. Inwiefern?

Was passiert, wenn diese Aufmärsche überhandnehmen? In „Johanna ist tot“ befinden wir uns in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der ein autoritärer Kanzler in einer Pseudo-Demokratie die Menschen unterdrückt. Johanna erscheint hier als Freiheitskämpferin. Die Frage, die sich hier wiederum stellt ist: Wieviel Patriotismus ist gesund?

Olivier, du bist Hausautor bei uns am RLT. Was bedeutet das? Was hat das Theater davon?

Zunächst mal ist es ungewöhnlich, dass an einem Haus von der Größe des RLT einem Autor die Möglichkeit gegeben wird, pro Spielzeit ein Stück zur Uraufführung zu bringen. Das gibt mir eine gewisse Sicherheit beim Schreiben. Gleichzeitig kann ich aber auch die Themen und Stücke für das Neusser Publikum und das Ensemble entwickeln. Dieser Vorgang verleiht der Gegenwartsdramatik einen großen Stellenwert.

Warum schreibst du Theaterstücke? Warum nicht Lyrik oder Prosa?

Tatsächlich versuche ich es immer wieder mal mit Prosa und habe auch vor, einen Roman zu schreiben. Aber ich merke, dass ich ganz schnell in Dialoge komme und dann sind die ersten Seiten schon die Anfänge eines Theaterstücks. Es war eigentlich kein Lebensziel von mir, Schriftsteller zu werden, vielmehr hat es sich in den letzten zehn Jahren so entwickelt - spätestens mit der Hausautorenschaft am Nationaltheater Luxemburg hab ich überrascht festgestellt, dass ich Dramatiker geworden bin.

Grundsätzlich macht es mir einfach Spaß, dass meine Texte die Grundlage für eine Inszenierung bilden, aber dann vom Papier befreit werden und mit Bühnenluft in Kontakt kommen. Ich komme halt vom Theater, mir ist der gemeinschaftliche Prozess wichtig.

Als gebürtiger Luxemburger ist Deutsch natürlich nicht deine Muttersprache. Ist es nicht unglaublich schwer, in einer anderen Sprache zu schreiben?

Seit über zehn Jahren lebe ich in Deutschland und beschäftige mich mit Literatur. Daher ist mir die Sprache sehr nahe. An manchen Formulierungen, Satzstrukturen oder einzelnen Wörtern merke ich aber schon, dass ich nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen bin, sondern, dass ich sie erlernt habe. Es gibt natürlich auch Abende an denen mir die Formulierungen völlig fehlen. Dann möchte ich einfach nur luxemburgisches Radio hören, weil mich das ständige Bewegen in einer Fremdsprache müde gemacht hat.

Welche Themen interessieren dich? Wie findest du deine Stoffe?

Ich habe das große Glück, dass zurzeit meist die Themen an mich herangetragen werden in Form von Auftragswerken. Allerdings suche ich mir dann meist meinen eigenen Zugang und überrasche so vielleicht auch in manchen Fällen die Auftraggeber. So sollte „Am Ende des Tages“ zunächst ein Stück über St. Martin werden. Kenner der Materie mögen darauf im Text noch Hinweise finden, wie zum Beispiel die Chronisten oder die mystische Aura, die von der Aktivistin Andrea Julius ausgeht. St. Martin soll ja als Exorzist Dämonen vertrieben haben und dem Teufel persönlich begegnet sein – und natürlich ist das Thema Empathie bzw. Barmherzigkeit auch hier zentral. Darüber hinaus steht das gesellschaftliche Zusammenleben im Fokus meines Schreibens, angedockt an die Frage nach den politischen und sozialen Strukturen, die wir für ein friedliches Zusammenleben benötigen.

Wie willst du nicht schreiben? Mit welcher Art von Theaterstück kannst du wenig anfangen?

Gute Frage … mit Stücken, aus denen ich die Eitelkeit der der Autor*innen herauslese, anstelle einer Botschaft für das Publikum. Einer Botschaft nicht unbedingt im moralischen Sinne, aber es muss eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit sein, bzw. das Wühlen in einer Wunde oder der Versuch, einen Diskurs zu bereichern, neue Perspektiven anzubringen, gemeinsames Nachzudenken anzuregen.

Das Konzept Traum interessiert dich beim Schreiben, soweit ich weiß. Inwiefern?

Tatsächlich verstehe ich Theater und die hier entstehenden Inszenierungen als eine Art Traum. Das Publikum verkörpert die Schlafenden, die träumen. Auf der Bühne wird das Unterdrückte verarbeitet, das, womit man sich eigentlich nicht konfrontieren will. Auf diese Weise kann das Theater gewissermaßen die Seele reinigen.

Welches deiner Stücke hältst du selbst für das Gelungenste?

Wenn ich ein Stück abgebe, glaube ich meistens, dass es ganz okay so ist. Gleichzeitig würde ich aber kein einziges Stück noch mal so schreiben, wie ich es geschrieben habe. Ich bekomme durch die Inszenierungen immer eine Reihe neuer Erkenntnisse, stelle mich in Frage und entwickle mich weiter. Ich suche und wühle. Und sollte ich eins Tages das Gefühl haben, das perfekte Stück geschrieben zu haben, wäre das wohl das Ende meiner Karriere. Aber auch Goethe hat ja bekanntlich sein Leben lang immer weiter geschrieben.

Ist es in diesen angespannten Zeiten die Aufgabe des Theaters, auch noch das, was man tagtäglich in den Nachrichten sieht, in Stücken aufzuarbeiten? Oder vergrault dieser Anspruch nicht einfach nur das Publikum?

Da muss man wohl das Publikum fragen. Ich habe allerdings zum Beispiel bei Lesungen öfters die Rückmeldung bekommen, dass es den Menschen gut tut, mit ihren Gedanken nicht allein zu sein, sich im Theater verstanden und aufgehoben zu fühlen. Egal, wie anstrengend diese Zeiten sein mögen, wir müssen versuchen, wieder zu einer Gemeinschaft zu werden, in der auch sich zunächst fremde Menschen miteinander ins Gespräch kommen können.

Zur Urfassung des Stücktextes

Ursprünglich wurde Olivier Garofalo von der Theaterleitung des Rheinischen Landestheaters beauftragt, für die geplante „Empathie“-Spielzeit ein Stück über Martin von Tours zu schreiben. Der römische Soldat hatte der Legende nach seinen Mantel mit einem frierenden Bettler geteilt, und wurde so im Christentum zu einer Symbolfigur der Barmherzigkeit. Der Arbeitstitel lautete zunächst: „Das Wesen von St. Martin“. Nachdem sich Olivier eingehend mit dem Leben Martins beschäftigt hatte, der sich unter anderem durch eine Teufelsbegegnung und mystische Krankenheilungen für eine Chronik zwecks Heiligsprechung qualifizieren sollte, galt sein Interesse mehr und mehr den eher dunklen Seiten der Empathie.

Doch auch nachdem die Grundidee des Stücks – Aufzeichnung einer Talkshow in Abgeschiedenheit, während draußen ein Mob tobt – feststand, entwickelte sich das Stück über einen Zeitraum von anderthalb Jahren noch entscheidend. Schon ein Blick in die „Dramatis personae“ der Ursprungsfassung gibt Aufschluss über einen intensiven Arbeitsprozess, von einem, der versucht, schreibend der Wirklichkeit um ihn herum gerecht zu werden.  

 

« Die Namen jener, die da sprechen werden

Menschen, die nicht nur einen Namen haben, sondern auch eine systemrelevante Funktion:

Lilith Rosen, eine Moderatorin
Andrea Julius, ihre Assistentin
Susanne Müller, eine Abgeordnete
Norbert Leuchten, ihr Berater
Michael Huber, Politiker, den es in die erste Reihe drängt

außerdem mischt sich ein:

Der Chronist

zu hören und vielleicht auch zu sehen ist:

Der Chor der Verunsicherten

obwohl sie nicht in Erscheinung treten, so ist immer wieder die Rede von:

Die radikalen Barmherzigen »

 

Da die Hauptarbeit am Stück während des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie stattfand, ist es natürlich kein Zufall, dass die handelnden Figuren ironisch als systemrelevant bezeichnet werden. Während es die Figur „Michael Huber“ nicht in die Schlussfassung des Stücks geschafft hat, haben die übrigen Protagonist*innen größtenteils noch eine andere Funktion. Dabei fällt auf, dass es in der alten Fassung noch mehr Allianzen untereinander gibt. Inzwischen vertritt jede Figur ein eigenes Programm und Interesse.

Eine weitere Ebene bildet eine Gruppe, die in Wutbürgermanier ihren Frust auf „die da oben“ und alles Fremde artikuliert, hier noch etwas entschuldigend der „Chor der Verunsicherten“ genannt – später schlicht „die Aufmärsche“.  Noch ist ihnen namentlich die stumme Bewegung der „Radikal Barmherzigen“ entgegengestellt. Heute gibt es die nicht mehr.

Beide Aspekte zeigen, dass sich das Stück im Prozess mit größerer Entschiedenheit zum Konflikt bekennt.

 

Das geht so weit, dass den „Aufmärschen“ wie einem niemals zur Ruhe kommenden Stream of Consciousness  eine Stimme gegeben wird, die sich im Schriftbild in engem Zeilenabstand und in Versalien maximal leseunfreundlich präsentiert. Die Absicht, ein Störelement zu schreiben, etwas kaum zu Überlesendes, das aber unsere Tendenz wegzuhören, sobald es schwierig wird, spiegelt, wird hier deutlich. Die Form ist bereits die Wertung.

Wertend ist auch der subjektive Ton, in dem sich der Autor zu erkennen gibt, und sozusagen an den ersten Regieentscheidungen teilnimmt. Er zeigt sich authentisch, indem er mit den Leser*innen seine Absichten teilt, die offenbar noch in der Zukunft liegen. Zum Teil scheinen sie sich auch dem Einfluss des Autors zu entziehen. Und so klingt die Verortung des Stücks noch ganz wie eine erste Idee – die es zu diesem Zeitpunkt ja auch war:

«  Der Ort

Die Menschen, die nicht nur einen Namen haben, sondern auch systemrelevant sind, werden sich befinden oder befinden sich bereits in einem alten Landgut. Lilith Rosen hat diese Räumlichkeiten ausfindig machen lassen, um in diesem besonderen Idyll mit der Aura längst vergangener Zeiten mit ständischen Machtverhältnissen eine Talkshow aufzunehmen. Aber auch der Schutz des ländlichen Raumes ist von Bedeutung, denn niemand soll von dieser Sendung wissen, zudem würde kaum eine Person des öffentlichen Interesses es zurzeit wagen von der Öffentlichkeit entdeckt zu werden.
Es obliegt der Fantasie der/des Bühnenbilder*in und den Möglichkeiten der Bühne, wie die verschiedenen Räume gezeigt werden. Wichtig ist nur, dass alle Räume, in denen sich Menschen wenigstens ein Mal aufhalten, zu sehen sind. Folglich sind auch immer alle zu sehen, auch, wenn das Publikum sie nicht hören kann.
[...]
Bei einigen Szenen lässt sich recht eindeutig ableiten, in welcher Art von Zimmer die Handlung stattfindet. Bei anderen bleibt es offen, ob man sich beispielsweise in einer Abstellkammer befindet oder aber vielleicht im Garten.

Vielleicht werden all diese Hinweise zum Ort ignoriert und alle stehen an der Rampe in einer Reihe. Das würde die Fantasie des Schreibenden verletzten, aber wer kann schon im Berufsleben Rücksicht auf Gefühle nehmen?
Der Chor der Verunsicherten befindet sich zumindest zu Beginn fernab des Landguts. Vorstellbar ist aber durchaus, dass sie immer näher kommen.

Der Chronist ist, wie könnte es anders sein, allgegenwärtig, allwissend, omnipräsent, überall und nirgends. »

 

Der Chronist, von dem hier die Rede ist, ist inzwischen zu einer Gruppe geworden. Die „Chronist*innen“, kommentieren und bewerten das Geschehen wie ein griechischer Chor, indem sie auch ihre eigene Rolle – vielleicht auch als Kunstschaffende oder Intellektuelle – reflektieren.

In der Urfassung äußerte sich der einzelne Chronist in einer Art Prolog. Fast kommt es einem vor, als spräche der Autor durch ihn, der ein Grußwort an seine potentiellen Leser*innen richtet:

 

« Ein Grußwort

DER CHRONIST:          Es liegt nicht in meiner Natur, meine Stimme zu erheben, denn meine Stimme ist die Schrift, welche stumm auf dem Papier ruht, darauf wartend, gelesen zu werden, einen Klang zu entfalten, kurzzeitig im Raum zu stehen, bestenfalls mit einem langen Nachklang, bevor die Ruhe zurückkehrt, der Gedanke sich verselbstständigt. Außergewöhnliche Umstände erfordern indes außergewöhnliche Maßnahmen, wie es im Volksmund so schön heißt. [...]
Jedoch könnte die Schilderung so unglaubwürdig klingen, zu fantastisch, zu surreal, dass manch einer meiner Stimme keinen Glauben schenken möchte, wo doch, so unterstreiche ich erneut, jedes Wort der Wahrheit, wie ich sie erlebt habe, entspricht. Die Gefahr demnach, dass dieser Bericht verteufelt wird und in Vergessenheit gerät, ist groß. Das Risiko ist enorm, so dass mir am liebsten wäre, wenn der Klang der Worte nur eine kleine Zuhörerschaft erreichen würde, welche diese durch sich selbst und ihren zukünftigen Taten lebendig halten würde. Aber ich fürchte, dass bereits ein Ohr das Tor zur Welt sein wird und dass es, einmal hinausgelassen, sich nicht wieder zurückrufen lässt. Sollte dies passieren, so sei die Bitte nachgereicht, eher der Sache als dem Wortlaut Beachtung zu schenken und es mit Gleichmut zu ertragen, wenn vielleicht fehlerhafter Ausdruck das Ohr unangenehm berührt. Schließlich sind diese Aufzeichnungen eben nicht zur Veröffentlichung gedacht, zumindest nicht zu Lebzeiten, und zudem teilweise schnell verfasst, um dem Tempo der sich überschlagenden Ereignisse standzuhalten. So will ich denn nun berichten, von jener Zeit und dem Wandel, der sich vollstreckte, indem ein Schritt zurückgegangen wird, die Wirklichkeit sich ihren eigenen Weg bahnt. »

Bevor Anfang Februar die Proben zu „Am Ende des Tages“ starteten, hat Olivier Garofalo noch ein letztes Mal den Text stark eingekürzt. Interessanterweise ist vieles von dem, was vielleicht nicht in aller Breite ausformuliert werden musste, nicht verloren gegangen. Der Prozess des Nachdenkens, Suchens und Verwerfens und der authentische Umgang damit, bildet letztlich die Substanz eines gelungenen Theatertextes.

 

E' uno di quei giorni che
Ti prende la malinconia
Che fino a sera
Non ti lascia più
La fine troppo scossa ormai
La prego e penso fra di me
Proviamo anche con Dio
Non si sa mai

E non c'è niente di più triste
In giornate come queste
Che ricordare la felicità!
Sapendo già che è inutile ripetere, chissà
Domani è un altro giorni
Si vedrà!

E' uno di qui giorni in cui
Rivedo tutta la mia vita
Bilancio che non ho quadrato mai!
Posso dire ad ogni cosa
Che ho fatto a modo mio
Ma con che risultati
Non saprei!
E non mi sono servite a niente
Esperienze e delusioni
E se ho promesso non lo faccio più…
Ho sempre detto in ultimo
Ho perso ancora ma
Domani è un altro giorno
Si vedrà!

E' uno di quei giorni che
Tu non hai conosciuto mai
Beato te, si, beato te!
Io di tutta un’esistenza
Senza dare, dare, dare
Non ho salvato niente
Neanche te!
Ma nonostante tutto io
Non rinuncio a credere
Che tu potresti ritornare qui!
Ma come tanto tempo fa
Io ricordo chi lo sa
Domani è un altro giorno
Si vedrà!

E' uno di qui giorni in cui
Rivedo tutta la mia vita
Bilancio che non ho quadrato mai!
E oggi non mi importa
Della stagione morta
Per cui i rimpianti adesso non ne ho più!

E come tanto tempo fa
Io ricordo chi lo sa
Domani è un altro giorno, si vedrà!
Domani è un atro giorni, si vedrà!

Deutsche Übersetzung

Es ist einer dieser Tage,
Die Melancholie macht dich traurig.
Bis zum Abend
Er verlässt dich nicht mehr
Das Ende ist schon zu aufgewühlt.
Ich bitte Sie und denke an mich.
Versuchen wir es mit Gott.
Man weiß nie.

Und es gibt nichts Traurigeres
An Tagen wie diesen
Dass ich mich an das Glück erinnere.
Wenn man weiß, dass es sinnlos ist, es zu wiederholen, wer weiß.
Morgen ist ein neuer Tag.
Wir werden sehen!

Es ist ein Tag hier, an dem
Ich sehe mein ganzes Leben wieder
Haushalt, den ich nie habe!
Ich kann alles sagen.
Was ich auf meine Weise getan habe
Aber mit welchen Ergebnissen?
Ich weiß nicht.
Und ich habe sie nicht gebraucht.
Erfahrungen und Enttäuschungen
Und wenn ich es versprochen habe, tue ich es nicht mehr.…
Ich habe immer das letzte gesagt.
Ich habe wieder verloren, aber
Morgen ist ein neuer Tag.
Wir werden sehen!

Es ist einer dieser Tage,
Du hast ihn nie getroffen.
Du Glückspilz, ja, du Glückspilz!
Ich von einer ganzen Existenz
Geben, geben, geben
Ich habe nichts gerettet.
Du auch nicht!
Aber trotz allem ...
Ich gebe nicht auf zu glauben.
Dass du zurückkommen könntest.
Aber wie vor langer Zeit
Ich weiß noch, wer es weiß.
Morgen ist ein neuer Tag.
Wir werden sehen!

Es ist ein Tag hier, an dem
Ich sehe mein ganzes Leben wieder
Haushalt, den ich nie habe!
Und heute ist es mir egal
Der Toten Saison
Also bereue ich jetzt nichts mehr.

Und wie vor langer Zeit
Ich weiß noch, wer es weiß.
Morgen ist ein neuer Tag.
Morgen ist ein paar Tage.

Katrin Hauptmann
Anna Sonnenschein, Juliane Pempelfort, Benjamin Schardt, Katrin Hauptmann
Katrin Hauptmann, Anna Sonnenschein, Juliane Pempelfort, Benjamin Schardt
Katrin Hauptmann, Juliane Pempelfort, Benjamin Schardt
Katrin Hauptmann, Anna Sonnenschein
Juliane Pempelfort, Anna Sonnenschein
Katrin Hauptmann, Benjamin Schardt
Anna Sonnenschein, Katrin Hauptmann, Juliane Pempelfort, Benjamin Schardt
Juliane Pempelfort
Katrin Hauptmann, Juliane Pempelfort, Benjamin Schardt

 

 

 

 

 

 

 

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