Das Rheinische Landestheater zeigt

Der Trafikant

nach dem Roman von Robert Seethaler in einer Fassung von Maik Priebe

 

Mit

Hergard Engert, Nelly Politt, Philippe Ledun, Stefan Schleue, Peter Waros

 

Inszenierung Maik Priebe

Bühne und Kostüme Maik Priebe

Musik Stefan Leibold

Dramaturgie Olivier Garofalo

TheaterAktiv Felix Herfs

Regieassistenz Pia Nüchterlein

Soufflage Svenja Dahmen

 

Spieldauer 90 Minuten, keine Pause

Premiere 22. April 2022, Studio

Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag, Hamburg

„Der Trafikant“ wird im Bereich Gegenwartsdramatik in der Spielzeit 2022/2023 durch das Kultursekretariat NRW Gütersloh gefördert.

Veranstaltungstechnik David Kreuzberg (Technischer Leiter/ Beleuchtungsmeister), Claudia Kurras (stellv. Technische Leiterin/Bühnenmeisterin), Nikolaus Vögele (Beleuchtungsmeister), Fredo Helmert (Leiter der Tonabteilung), Lutz Patten (Assistent der technischen Leitung), Reinhold van Betteraey, Jens Gerhard, Markus Hermes, Ivan Hristov (Medientechnik / IT), Erhad Kovacevic, Daniel Marx, Maik Neumann, Stefan Ostermann, Katrin Otte, Lutz Schalla, Matthias Schöning, Michael Skrzypek, Til Topeit, Oliver Waldhausen, Peter Zwinger Auszubildende Nour al Hamdan, Leona Kittlaus, Malte Meuter, Tim Rettig, Elias Triebel Werkstätten Schreinerei/Schlosserei Engelbert Rieksmeier (Werkstättenleiter), Lutz Meuthen, Jorge Denis Corrales Mora, Jonas Henke, Peter Herbrand, Johannes Selzner Auszubildende Werkstätten Mitja Hennig, Justin Simon, Aaron Czirr Malsaal Sarah Durry (Leiterin Malsaal), Natalie Brüggenolte (in Elternzeit), Laura Conigliello, Dmytro Fedorovic Zhdankin, Luna Warnke, Maria Felicia Montemurro Gewandmeisterei Alide Büld (Leiterin der Kostümabteilung), Waldemar Klein (Leiter der Herrenabteilung, Herrenschneidermeister), Ute Dropalla (Garderobiere), Pauline Gez (Garderobiere), Susanne Groß, Maria Knop, Alina Listau, Anna Listau, Sophia Meuser Maske Marthe von Häring (Leiterin der Maske), Marleen Fee Hackenberg, Laura Rösch Requisite Birgit Drawer (1. Requisiteurin), Lara Maury

Insofern nicht anders markiert, sind die Texte Originalbeiträge von Olivier Garofalo

Fotos Marco Piecuch, Plakatfoto Simon Hegenberg

Bitte beachten Sie, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet sind.

 

„Der Trafikant“

Österreich im Jahr 1937: Bisher genoss der 17-jährige Franz Huchel ein tendenziell ereignislos vor sich hin tröpfelndes Leben im kleinen Örtchen Nußdorf am Attersee. Doch die Zeiten sind hart und werden härter, das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Franz muss Geld verdienen. Als Waldarbeiter taugt er mit seinen zarten, weichen Händen nicht und so schickt ihn seine Mutter in die Hauptstadt, wo er bei Otto Trsnjek in dessen Trafik arbeiten soll. Der Umzug nach Wien wird sein Leben radikal verändern. Hier lernt er nicht nur alles über die vielfältigen Zigarren, sondern beginnt Zeitungen zu lesen und sich für die politischen Entwicklungen im Land zu interessieren. Auch macht er eines Tages eine Bekanntschaft, die sein Leben prägen soll: Sigmund Freud, als leidenschaftlicher Zigarrenraucher Stammkunde bei Otto Trsnjek, wird zu einem Freund. Spätestens nachdem sich Franz in die Varietétänzerin Anezka verliebt, sucht er nahezu täglich bei dem Professor Rat. Doch auch für den berühmten Psychoanalytiker ist das weibliche Geschlecht trotz aller Studien und Lebenserfahrung ein ewiges Rätsel. Und während Franz weiterhin versucht, das Herz der ihm weit überlegenen Anezka zu erobern, hat diese die kommenden Umwälzungen bereits längst erkannt und sucht nach Möglichkeiten als schlesisches Mädchen in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus zu bestehen. Noch bevor Franz überhaupt versteht, was gerade passiert, geht alles ganz schnell: Otto Trsnjek, ein bekennender Gegner der Nazis, wird verhaftet, Freud bereitet das Exil in London vor und plötzlich ist Franz der Trafikant.

Robert Seethaler

Robert Seethaler, 1966 in Wien geboren und aufgewachsen, besuchte die Schauspielschule im Wiener Volkstheater und wirkte in einer Vielzahl von Produktionen für Kino und Fernsehen sowie an Theatern in Wien, Berlin, Stuttgart und Hamburg mit. 2007 wurde er für seinen Roman „Die Biene und der Kurt“ mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet. 2008 erschien sein zweiter Roman „Die weiteren Aussichten“, 2010 wurde „Jetzt wird’s ernst“ veröffentlicht, sowie 2012 „Der Trafikant“, 2014 „Ein ganzes Leben“ und 2018 „Das Feld“. Zuletzt erschien 2020 „Der letzte Satz“. Robert Seethaler wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Kulturpreis des Landes Niederösterreich, dem Grimme-Preis, dem Buchpreis der Wiener Wirtschaft, dem Prix Jean Monnet des jeunes européens und steht mit seinen Romanen regelmäßig auf den Longlists des Österreichischen und des Deutschen Buchpreises. Robert Seethaler lebt und schreibt in Wien und Berlin.

Robert Seethaler erdichtet in seinem Roman „Der Trafikant“ eine zufällige Begegnung zwischen dem 17-jährigen Franz Huchel und dem berühmten Psychoanalytiker Sigmund Freud im Wien der Dreißigerjahre. Zwischen den ungleichen Zeitgenossen entsteht eine regelrechte Freundschaft. In unzähligen Gesprächen versuchen sie, das Rätsel rund um die Liebe zu lösen und die dramatischen politischen Entwicklungen zu verstehen. Ersteres gelingt ihnen, wie so vielen anderen vor oder auch nach ihnen, nicht. Letzteres lässt sich schon eher einschätzen, wobei sie die Durchsetzung der Nazi-Ideologie in der breiten Bevölkerung nur bedingt verstehen können und die Folgen zu dem Zeitpunkt kaum erahnen. Millionen Menschen waren nicht nur stille Mitläufer*innen, sondern überzeugte Anhänger*innen von Hitler und dem, was die Nazis unter Politik verstanden haben. Es mag zu Beginn ein schleichender Prozess gewesen sein, doch Hitler und die NSDAP verhehlten nie ihre Ziele. Millionen von Menschen jubelten trotz der rezenten Kriegserfahrung beim völkerrechtswidrigen Überfall auf Polen am 1. September 1939, der zu einem verheerenden Weltkrieg führte. Millionen von Menschen starben an den direkten Folgen des Krieges oder wurden schwer verletzt, beziehungsweise traumatisiert. Zudem wurden Millionen Menschen in verschiedene, extra dafür konzipierten Vernichtungslager deportiert und ermordet. Von 11 Millionen europäischer Juden ermordeten die Nationalsozialisten 6 Millionen.

Die fiktive Begegnung zwischen Franz und Freud könnte man als intelligenten, werbewirksamen Einfall des Autors abtun. Allerdings steckt hinter dieser Idee deutlich mehr. Franz kommt recht unbedarft nach Wien. Sein bisheriges Leben in Nußdorf am Attersee war idyllisch, von Politik hat er keine Ahnung. Gleich mit seiner Ankunft in Wien beginnt hingegen seine individuelle Suche nach seinem Platz im Leben. Die Hauptstadt begrüßt ihn mit viel Lärm und einem bestialischen Gestank. Alles ist ihm fremd und somit muss er sich quasi neu erfinden. Spätestens durch die Begegnung mit Anezka, die zwar nur drei Jahre älter ist, allerdings deutlich mehr Lebenserfahrung hat, scheinen alle einst gewonnenen Gewissheiten nicht mehr zu gelten. Franz geht es dabei nicht anders als den meisten Menschen in seinem Umfeld. Im Gegensatz zu so vielen anderen, tut er allerdings nicht einfach, was ihm gesagt wird, sondern er fragt, versucht selbst zu verstehen und das Richtige zu tun. Er versucht, sich treu zu bleiben, sprich: sein Selbst nicht zu verlieren und, um mit Erich Fromm zu reden, durch ein Pseudo-Selbst zu ersetzen. Das Pseudo-Selbst ist dabei das, was wir glauben sein zu müssen, um bestehen zu können. Das betrifft nicht nur die Arbeit oder den allgemeinen Lebensstil, sondern auch die politische Haltung und die Gedanken. Denn mögen wir auch stolz sein, unsere Gedanken und Gefühle frei äußern zu können, so gilt es dennoch, zu hinterfragen, ob wir diese tatsächlich selbst entwickelt haben, oder ob sie uns mehr oder weniger unbewusst eingeflüstert wurden. Die Übernahme eines Pseudo-Selbst führt dabei zu einer tiefen Unsicherheit. Man ist voller Zweifel, weil man in gewisser Weise seine Identität verloren hat, fühlt sich hilflos und unsicher und sehnt sich nach einer starken Hand, die einen durch das Leben führt. Genau an dieser Stelle kann der Nazismus greifen, denn Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht sind der Nährboden für den Faschismus.

Empathie ist schwer und der entfremdete Mensch sehnt sich nach Autorität. Dies ist der Punkt, wo Freud als Repräsentant der Psychoanalyse wie eine Art Zitat in Seethalers Roman zu mehr wird, als nur einem lustigen Einfall des Autors. Denn Freuds Theorie, die er selbst als unpolitisch verstanden haben wollte, lässt sich in Relation mit dem Erfolg des Nazismus setzen. Freud nahm an, dass im Menschen eine biologisch gegebene Tendenz zu zerstören existiere, die sich entweder gegen andere oder gegen sich selbst richten könne, und stellte die Theorie auf, dass der Masochismus seinem Wesen nach das Produkt des sogenannten „Todestriebes“ sei. Außerdem ging er davon aus, dass der Todestrieb mit dem Sexualtrieb verschmolzen sei, wodurch der Mensch eben vor dem reinen Todestrieb geschützt sei. Nach Freud hat der Mensch nur die Wahl, entweder sich selbst oder andere zu zerstören, wenn es ihm nicht gelingt, seine Destruktivität mit dem Sexualtrieb zu verschmelzen. Zwar wurde diese Theorie mehrfach kritisiert, doch auch andere Psychoanalytiker*innen zeigten immer wieder auf, wie masochistische Tendenzen autoritäre Charaktere formen. „Autoritärer Charakter“ bedeutet dabei nicht, dass man unbedingt nach Macht strebt, sondern es kann auch bedeuten, dass man autoritär geführt werden will. Aufgrund seiner sado-masochistischen Strebungen kennt der autoritäre Charakter nur Menschen mit und ohne Macht, beziehungsweise teilt er die Gesellschaft ein in Über- und Untergeordnete. Und zwischen Beherrschung und Unterwerfung ist kein Platz für Solidarität. Man fühlt sich allein mit seinem Selbst und mit einer entfremdeten, feindlichen Welt konfrontiert. Der Mensch hat, um es mit Dostojewski zu sagen, „kein dringenderes Bedürfnis als jemanden zu finden, auf den so schnell wie möglich das Geschenk der Freiheit, mit der er, das unglückselige Geschöpf geboren wurde, abladen kann. („Die Brüder Karamasow“).

Eine eigene Identität aufzubauen, sich immer wieder infrage zu stellen und eigene Gedanken zu entwickeln (dabei ist es nicht wichtig, ob nicht schon vorher Ähnliches gedacht wurde, wichtig ist nur, dass sie tatsächlich frei entwickelt worden sind), ist eine größere Herausforderung als Dingen ihren Lauf zu lassen und zu tun, was scheinbar von einem erwartet wird. Eine funktionierende Demokratie braucht aber kritische Menschen mit einem ausgeprägten Selbst. Beides gilt es zu pflegen: sowohl die Ratio, als auch die Emotion. Nur wenn wir uns selbst nicht entfremdet sind, haben wir keine Angst – und ängstliche Menschen lassen sich leicht manipulieren. Es bedarf einer starken Identität für eine starke Demokratie – und zwar von allen Menschen. Der Weg mag, wie es Seethaler an der Figur von Franz anschaulich zeigt, manchmal mühsam sein. Aber mit den richtigen Freund*innen, oder vielleicht auch ab und zu Wissenschaftler*innen und Analytiker*innen, können wir dafür sorgen, mit uns selbst im Einklang zu sein, nicht zu hassen und gemeinsam eine offene Gesellschaft realisieren.

Unsere Untersuchung über das Glück hat uns bisher nicht viel gelehrt, was nicht allgemein bekannt ist. Auch wenn wir sie mit der Frage fortsetzen, warum es für die Menschen so schwer ist, glücklich zu werden, scheint die Aussicht, Neues zu erfahren, nicht viel größer. Wir haben die Antwort bereits gegeben, indem wir auf die drei Quellen hinwiesen, aus denen unser Leiden kommt: die Übermacht der Natur, die Hinfälligkeit unseres eigenen Körpers und die Unzulänglichkeit der Einrichtungen, welche die Beziehungen der Menschen zueinander in Familie, Staat und Gesellschaft regeln. In betreff der beiden ersten kann unser Urteil nicht lange schwanken; es zwingt uns zur Anerkennung dieser Leidensquellen und zur Ergebung ins Unvermeidliche. Wir werden die Natur nie vollkommen beherrschen, unser Organismus, selbst ein Stück dieser Natur, wird immer ein vergängliches, in Anpassung und Leistung beschränktes Gebilde bleiben. Von dieser Erkenntnis geht keine lähmende Wirkung aus; im Gegenteil, sie weist unserer Tätigkeit die Richtung. Können wir nicht alles Leiden aufheben, so doch manches, und anderes lindern, mehrtausendjährige Erfahrung hat uns davon überzeugt. Anders verhalten wir uns zur dritten, zur sozialen Leidensquelle. Diese wollen wir überhaupt nicht gelten lassen, können nicht einsehen, warum die von uns selbst geschaffenen Einrichtungen nicht vielmehr Schutz und Wohltat für uns alle sein sollten. Allerdings, wenn wir bedenken, wie schlecht uns gerade dieses Stück der Leidverhütung gelungen ist, erwacht der Verdacht, es könnte auch hier ein Stück der unbesiegbaren Natur dahinterstecken, diesmal unserer eigenen psychischen Beschaffenheit.

Auf dem Wege, uns mit dieser Möglichkeit zu beschäftigen, treffen wir auf eine Behauptung, die so erstaunlich ist, dass wir bei ihr verweilen wollen. Sie lautet, einen großen Teil der Schuld an unserem Elend trage unsere sogenannte Kultur; wir wären viel glücklicher, wenn wir sie aufgeben und in primitive Verhältnisse zurückfinden würden. Ich heiße sie erstaunlich, weil – wie immer man den Begriff Kultur bestimmen mag – es doch feststeht, dass alles, womit wir uns gegen die Bedrohung aus den Quellen des Leidens zu schützen versuchen, eben der nämlichen Kultur zugehört.

(…)

In den letzten Generationen haben die Menschen außerordentliche Fortschritte in den Naturwissenschaften und in ihrer technischen Anwendung gemacht, ihre Herrschaft über die Natur in einer früher unvorstellbaren Weise befestigt. Die Einzelheiten dieser Fortschritte sind allgemein bekannt, es erübrigt sich, sie aufzuzählen. Die Menschen sind stolz auf diese Errungenschaften und haben ein Recht dazu. Aber sie glauben bemerkt zu haben, dass diese neu gewonnene Verfügung über Raum und Zeit, diese Unterwerfung der Naturkräfte, die Erfüllung jahrtausendealter Sehnsucht, das Maß von Lustbefriedigung, das sie vom Leben erwarten, nicht erhöht, sie nach ihren Empfindungen nicht glücklicher gemacht hat. (…) Und was soll uns endlich ein langes Leben, wenn es beschwerlich, arm an Freuden und so leidvoll ist, dass wir den Tod nur als Erlöser bewillkommnen können?

Es scheint festzustehen, dass wir uns in unserer heutigen Kultur nicht wohl fühlen, aber es ist sehr schwer, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob und inwieweit die Menschen früherer Zeiten sich glücklicher gefühlt haben und welchen Anteil ihre Kulturbedingungen daran hatten. Wir werden immer die Neigung haben, das Elend objektiv zu erfassen, d. h. uns mit unseren Ansprüchen und Empfänglichkeiten in jene Bedingungen zu versetzen, um dann zu prüfen, welche Anlässe zu Glücks- und Unglücksempfindungen wir in ihnen fänden. Diese Art der Betrachtung, die objektiv erscheint, weil sie von den Variationen der subjektiven Empfindlichkeit absieht, ist natürlich die subjektivste, die möglich ist, indem sie an die Stelle aller anderen unbekannten seelischen Verfassungen die eigene einsetzt. Das Glück ist aber etwas durchaus Subjektives. Wir mögen noch so sehr vor gewissen Situationen zurückschrecken, der des antiken Galeerensklaven, des Bauern im 30jährigen Krieg, des Opfers der heiligen Inquisition, des Juden, der den Pogrom erwartet, es ist uns doch unmöglich, uns in diese Personen einzufühlen, die Veränderungen zu erraten, die ursprüngliche Stumpfheit, allmähliche Abstumpfung, Einstellung der Erwartungen, gröbere und feinere Weisen der Narkotisierung in der Empfänglichkeit für Lust- und Unlustempfindungen herbeigeführt haben. Im Falle äußerster Leidmöglichkeit werden auch bestimmte seelische Schutzvorrichtungen in Tätigkeit versetzt. Es scheint mir unfruchtbar, diese Seite des Problems weiter zu verfolgen.

Es ist Zeit, dass wir uns um das Wesen dieser Kultur kümmern, deren Glückswert in Zweifel gezogen wird. Wir werden keine Formel fordern, die dieses Wesen in wenigen Worten ausdrückt, noch ehe wir etwas aus der Untersuchung erfahren haben. Es genügt uns also zu wiederholen, dass das Wort „Kultur“ die ganze Summe der Leistungen und Einrichtungen bezeichnet, in denen sich unser Leben von dem unserer tierischen Ahnen entfernt und die zwei Zwecken dienen: dem Schutz des Menschen gegen die Natur und der Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander.

(…)

Wenn die Kultur nicht allein der Sexualität, sondern auch der Aggressionsneigung des Menschen so große Opfer auferlegt, so verstehen wir es besser, dass es dem Menschen schwer wird, sich in ihr beglückt zu finden. Der Urmensch hatte es in der Tat darin besser, da er keine Triebeinschränkungen kannte. Zum Ausgleich war seine Sicherheit, solches Glück lange zu genießen, eine sehr geringe. Der Kulturmensch hat für ein Stück Glücksmöglichkeit ein Stück Sicherheit eingetauscht. Wir wollen aber nicht vergessen, dass in der Urfamilie nur das Oberhaupt sich solcher Triebfreiheit erfreute; die anderen lebten in sklavischer Unterdrückung. Der Gegensatz zwischen einer die Vorteile der Kultur genießenden Minderheit und einer dieser Vorteile beraubten Mehrzahl war also in jener Urzeit der Kultur aufs Äußerste getrieben. Über den heute lebenden Primitiven haben wir durch sorgfältigere Erkundung erfahren, dass sein Triebleben keineswegs ob seiner Freiheit beneidet werden darf; es unterliegt Einschränkungen von anderer Art, aber vielleicht von größerer Strenge als das des modernen Kulturmenschen

(…)

Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden. In diesem Bezug verdient vielleicht gerade die gegenwärtige Zeit ein besonderes Interesse. Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, dass sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie wissen das, daher ein gut Stück ihrer gegenwärtigen Unruhe, ihres Unglücks, ihrer Angststimmung. Und nun ist zu erwarten, dass die andere der beiden „himmlischen Mächte“, der ewige Eros, eine Anstrengung machen wird, um sich im Kampf mit seinem ebenso unsterblichen Gegner zu behaupten. Aber wer kann den Erfolg und Ausgang voraussehen?

 

Korrekt und in Amtsdeutsch heißt das Tabakfachgeschäft in Österreich die TABAK TRAFIK, aber jeder nennt sie in dem Alpenstaat nur kurz „Trafik“. Es ist die Bezeichnung für eine Verkaufsstelle von Tabakwaren, Zeitungen, Schreibwaren, sowie für diverses Kleinzeug, auch Souvenirs und sogar Fahrkarten und Pickerln bekommt man dort. Die Trafik ist ebenfalls Lotto- und Totoannahmestelle. Welche Dinge in einer Trafik verkauft werden dürfen und welche nicht, ist in einem mehrseitigen Schriftstück von der Österreichischen Monopolverwaltungs-Gesellschaft akribisch dokumentiert, die das Tabakverkaufsmonopol peinlichst überwacht. Ordnung muss sein.

Historisch gesehen waren die Trafiken nach dem Zweiten Weltkrieg als Erwerbsquelle für Versehrte, Soldatenwitwen oder schuldlos verarmte Beamte gedacht. Auch heute noch werden Menschen mit einer anerkannten Versehrtheit bei der Vergabe von Trafiken bevorzugt. Im Jahre 1979 wurden die Vergabekriterien ausgeweitet, so dass ab diesem Zeitpunkt vermehrt Menschen mit Zivilbehinderung in den Personenkreis aufgenommen wurden, welcher eine Trafik leiten darf. Es gibt sogar eigene Standesregeln für den Berufsstand der Tabaktrafikanten. Eine Trafik zu leiten ist eine ehrenvolle Aufgabe und die Vergabe ist anspruchsvoll und streng limitiert. Denn nicht jeder Bewerber erfüllt zum einen die erforderlichen Voraussetzungen und zum anderen die moralisch einwandfreie Vita für solch eine Amtsausübung. Die TABAK TRAFIK dient zur Sicherung der Nahversorgung mit Tabakerzeugnissen, denn der Handel mit Tabakwaren ist in Österreich streng den Tabaktrafiken vorbehalten. Das Tabakmonopol geht auf das Jahr 1784 zurück, als Kaiser Josef II. das Tabakmonopol erließ, bei dem schuldlos verarmte Beamte, deren Angehörige, aber auch Kriegsversehrte das Recht einer Tabakverkaufsbewilligung erhielten. Und dieses Gesetz hat bis in die heutige Zeit mehr oder weniger Bestand. Ein wesentlicher Grundsatz bei der Vergabe solch einer begehrten Trafik ist der, dass möglichst viele, durch eine Behinderung eingeschränkten Menschen, eine wirtschaftlich nachhaltige Existenzgrundlage verschafft werden soll. Ein Kerngrundsatz, der in mach anderen europäischen Ländern durchaus zu einem Denkanstoß anregen sollte. In Österreich ist das Tabakmonopolgesetz sowohl im Sozialgesetz, als auch im Wirtschaftsgesetz verankert.

Solch ein Tabakfachgeschäft dient dem Bestreiten des Lebensunterhaltes des Trafikanten und es besteht die Möglichkeit, dass es ein Nachfolgerecht für nahe Angehörige gibt. Der Trafikant genießt mit der Nahversorgung an Tabakwaren Gebietsschutz. Neben den Trafiken gibt es auch noch Tabakverkaufsstellen – dabei handelt es sich um bereits etablierte Unternehmen – sei es ein gastronomischer Betrieb oder ein Lebensmittelhandel – welche zusätzlich Tabakwaren verkaufen dürfen, so sie die Berechtigung dazu haben. Diese bekommen die Lizenz nur dann, wenn sich eine Trafik nicht rentabel führen lässt oder wenn sich die Tabakgrundversorgung der Bevölkerung auf andere Art und Weise nicht sicherstellen lässt. Die österreichische TABAK TRAFIK ist eine nationale Institution – und ich wage es jetzt einmal ganz salopp zu formulieren: ein Kulturgut. Diese kleinen Lädchen, mit meist nur wenigen Quadratmetern Grundfläche, sind Mikrokosmen, die man einfach erlebt haben muss. Kulturhistorisch betrachtet: wertvoll.

1918/1919
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kommen erste Ideen auf, das Deutsche Reich und die neu entstandene Republik Österreich zusammenzuschließen. Die alliierten Siegermächte sprechen sich gegen den Anschluss aus und verbieten diesen in den Verträgen von Versailles und St. Germain.

30. Januar 1933
Im Deutschen Reich erlangt Adolf Hitler mit der NSDAP die Macht.

25. Juli 1934
Es kommt zum „Juliputsch“, bei diesem versuchen österreichische Nationalsozialisten die Regierung zu stürzen. Der Putsch misslingt, jedoch stirbt Bundeskanzler Dollfuß. Als Nachfolger wird Kurt Schuschnigg ernannt.

11. Juli 1936
In einem Verständigungsabkommen, dem „Juliabkommen“, wird festgehalten, dass Österreich ein eigenständiger deutscher Staat bleibt. Dieses Abkommen wird von Kurt Schuschnigg und Adolf Hitler unterzeichnet.

Spätsommer 1937
Franz Huchel kommt nach Wien und beginnt seine Lehre bei Otto Trsnjek. In dieser Zeit lernt er auch Sigmund Freud kennen.

12. Februar 1938
Bei einer Besprechung auf dem Obersalzberg nötigt Hitler Schuschnigg zur Unterzeichnung des Berchtesgadener Abkommen. Als Folge dessen wird unter anderem der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart Innen- und Sicherheitsminister. Auch die bisher verbotene NSDAP darf nun politisch in Österreich agieren. Mit diesem Abkommen legte Hitler den Grundstein für eine nationalsozialistische Machtübernahme Österreichs.

9. März 1938
Um die Übernahme Österreichs zu verhindern, ruft Bundeskanzler Schuschnigg eine Volksabstimmung aus, in der für die Freiheit und Eigenständigkeit Österreichs abgestimmt werden soll. Die Abstimmung soll bereits am 13. März stattfinden.

11. März 1938
Die deutschen Nationalsozialisten setzten Kurt Schuschnigg seit seiner Ankündigung der Volksabstimmung massiv unter Druck. Hitler setzte ein Ultimatum, um die Abstimmung abzusagen, sonst wird er mit deutschen Truppen in Österreich einmarschieren. Schuschnigg gibt der Forderung nach und verkündet seinen sofortigen Amtsrücktritt im Radio.

12. März 1938
Arthur Seyß-Inquart wird neuer Bundeskanzler. Immer mehr Bundesländer werden zu dieser Zeit von Nationalsozialisten übernommen.

13. März 1938
Der neue Bundeskanzler unterzeichnet das Gesetz zur „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“.
Die Trafik wird von der Gestapo durchsucht und Otto Trsnjek verhaftet. Als er nach zwei Monaten stirbt, erhält Franz seine persönlichen Gegenstände.

15. März 1938
Hitler wird bei seiner „Befriedungskundgebung“ in Wien von mehr als 100.000 Menschen bejubelt.

10. April 1938
Es kommt im Deutschen Reich und in Österreich zu einer Volksabstimmung mit der Frage: „Bist Du mit der am 13. März 1938 vollzogenen Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich einverstanden und stimmst Du für die Liste unseres Führers Adolf Hitler?“
Laut der offiziellen Auszählung stimmten in Österreich 99,73% und im Deutschen Reich 99,01% der Menschen mit „Ja“ ab.

4. Juni 1938
Siegmund Freud verlässt Österreich und emigriert nach London. In den nachfolgenden Tagen hisst Franz die Hose von Otto Trsnjek anstelle einer NS-Flagge und wird von der Gestapo verhaftet

Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen eng verschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.
 
Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
und färben sich mit deiner Augen Immortellen ...
 
Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
In Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.
 
Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

8428 Philippe Ledun

8460 Nelly Politt, Philippe Ledun

8475 Philippe Ledun, Stefan Schleue

8502 Hergard Engert, Philippe Ledun

8508 Hergard Engert, Philippe Ledun, Stefan Schleue

8520 Philippe Ledun, Nelly Politt, Peter Waros

8557 Hergard Engert, Philippe Ledun, Peter Waros

8584 Hergard Engert, Philippe Ledun, Stefan Schleue, Peter Waros

8599 Philippe Ledun, Nelly Politt

8623 Nelly Politt, Philippe Ledun

8636 Stefan Schleue, Philippe Ledun

8687 Hergard Engert, Peter Waros

8779 Nelly Politt, Stefan Schleue, Peter Waros

8815 Hergard Engert, Philippe Ledun

8842 Stefan Schleue, Hergard Engert, Nelly Politt, Philippe Ledun, Peter Waros

 

 

 

 

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